Das Almanach-Projekt: Blütenlese aus drei Jahren Symposium. Wissenschaftsprosa exzentrischen
Stils sowohl als Wissenschaftsparodien von berufenen Sprecherinnen stimmlich durchforscht.
Die Texte wurden exploriert, um herauszulocken, was sie versteckt halten.
ALMANACH I - Verkopftheit. Sprachliche Niederschläge und literarische Diagnosen denkerischer
Eindimensionalität
- Das Überwiegen geistiger Schwere - Johann Jakob Wagner: Mathematische Philosophie
(1811), gelesen als scheiterndes Unterfangen, durch Überstrecken der Sprache, der
geistigen Schwerkraft zu entkommen.
- Don Quijote aus Thüringen - Christian Friedrich Krause: Anschauungen und Entwürfe
zur Höherbidung des Menschheitlebens (um 1817). Am Verkennen des Genius' der Sprache
scheiternder Versuch, zu durchsichtiger Begrifflichkeit zu gelangen. Die lebenstheoretischen
Reflexionen gespiegelt an diaristischen Einträgen zur desolaten Wirklichkeit.
- Gert Hofmann: Die Fistelstimme (1980). Die Auswirkungen des pathogenen Klimas geisteswissenschaftlicher
Institute, vorgeführt mit befremdlichen Verwerfungen in der Erzählstruktur.
- Hermann Broch: Methodologische Novelle (1917/18). Glückende Anstrengung, dem Lebendigkeitsdefizit
des mathematisch konstruierten Helden abzuhelfen. Zwischen mathematischer und schwärmerisch-ätherischer
Diktion kippend.
Gewesen: 9. 7. 2017. Mit Anne Kulbatzki (Resi, München) und Lisa Hrdina (DT, Berlin)
ALMANACH II - Grund und Ungrund. Literarische und pseudowissenschaftliche Versuche,
Boden zu gewinnen oder zu verlassen
- Ror Wolf: Fortsetzung des Berichts (1959 - 64). Der sich beschreibend durch finstre
Gänge tastende Forscher findet sich im Unergründlichen: die Sprache führt, das Beschriebene
entsteht mit seiner Beschreibung und zieht Ferneres nach sich.
- Hanns Hörbiger: Welteislehre (1913). Der Visionär versucht, mit szientifischen Wuchtwörtern
vor allem, in den Abgrund über ihm vorzustoßen.
- Daniel Paul Schreber: Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken (1903). Der umgekehrte
Versuch: sich, an wissenschaftliche Diktion haltend, aus dem Abgrund paranoetischer
Phantasie herauszuschreiben.
Gewesen: 17. 9. 2017. Mit Irene Wagner (Sprecherin, Sprechprofessorin UdK) und Jan
Roder (Kontrabass)
ALMANACH III - Zeugnisse denkerisch/sprachlicher Mehrdimensionalität, Vieltönigkeit
und Abundanz
- Rudolf Borchardt: Pflanzenportraits (1931). Äußerst präzise Pflanzenbeschreibung,
bildet den Wuchs syntaktisch und klanglich nach. Disziplinierteste Form der Schwärmerei.
- Konrad Bayer: Der Kopf des Vitus Bering (1965). Das phantasierte Logbuch der Nordmeerexpedition
Vitus Berings. Fängt, über dem Abgrund des Eismeeres schwankend, Textstücke aus verschiedensten
Tonlagen ein.
- Helene von Druskowitz: Pessimistische Kardinalsätze (1905). Kämpft für Bezauberung,
indem sie, den männlichen Denk- und Schreibstil spiegelnd, die Modi der Flegelei
durchmisst.
- Jakob Böhme: Aurora (1612). Díe Quelle allen mehrdimensionalen vieltönigen überquellenden
Stils.
Gewesen: 19. 11. 2017. Mit Adrienne von Mangoldt und Monika Oschek (Sprecherinnen)
plus Johannes Fink (Cello).